Monatsarchiv: September 2014

Reise extrem: Die Marsmission „Mars-One“

Wer hat beim Lesen von Bougainville nicht mal daran gedacht, selbst mit hinaus zu rudern an den Strand von Tahiti, um Muscheln zu suchen? Wer hätte nicht an Bord der Endeavour unter James Cook sein wollen, als er Neuseeland entdeckte; oder Neil Armstrong, als er den „small Step“ machte?
Aus sicherer Entfernung lesen sich die alten Geschichten wie Reisen in ein andere Welt, eine Welt, in die hinein wir uns sehnen – solange wir am Kamin sitzen und einen Single-Malt schlürfen. Unsere eigene Phantasie zieht uns in ihren Bann. Sie verbindet unsere Sehnsüchte mit schön gezeigten Erlebnissen, während wir selbst von der Realität geschützt mitträumen. Toll, nicht? Deswegen lieben wir die Literatur und das Fernsehen.
Aber wer würde schon tatsächlich mit den Matrosen in den schwimmenden Fäkalientanks tauschen wollen? Wer riskiert schon einen Trip mit Menschen, die er nicht kennt und verbringt ein Leben in Isolation, auf einem (Raum)Schiff? Der Verstand sagt: Nur wenn er muss, oder als Sklave auf ein Schiff gepresst wird. Heutzutage gibt es keine Sklaven mehr – außer in Mauretanien und trotzdem finden sich Menschen in großer Zahl, die sich bereit erklären, auf den Mars fliegen zu wollen. Das nenne ich wirkliche Isolation. Denn der Ort, an dem sich diese Menschen befinden werden ist 50.000 km/h schnell. Dagegen waren Mangelernährung und Skorbut ja ein Kinderspiel – für ein bisschen Strand, Palmen und Rum leicht auszuhalten.
Aber kann man sich tatsächlich vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man sieben Monate auf einem Flug zu einem anderen „Planeten“ ist um dort mit einem Landungsraumschiff aufzusetzen? Auf einem Planeten ohne Sauerstoff? Ohne Wasser? Auf dem Stürme mit 400 Stundenkilometern jeden Stein zur Kanonenkugel machen? Mit Blitzen und minus 130°C? Gut. Wissen kann man nicht, wie es sich anfühlt, auf diesem Ort mal einen Spaziergang zu machen. Vielleicht ist es eine Wohltat, vielleicht ein Genuss für die Sinne? Ganzheitlich ist es in jedem Fall.

Den Ozean kennen wir. Ein vertrauter Ort, in tausend Facetten „gefühlt“. Manche badeten schon als Kind in Lignano oder Caorle. Außerdem kann der Mensch schwimmen. Wenn er vom Schiff fällt, kann er ein bisschen überleben, nach Hilfe rufen. Und trotz aller Vertrautheit kann schon eine Reise am Ozean auf einem Schiff zum Martyrium werden, auch wenn nichts für uns neu ist und gar nicht so tödlich wie am Mars. Wie viele Berichte gibt es, in denen von menschlichen Abgründen zu lesen ist, wo einer den anderen umbringt, vom Boot schubst, an den Mast bindet, psychisch terrorisiert, vierteilt oder an Deck totschlägt? Auf einem Schiff bleibt die Außenwelt zumindest „lebbar“.

Mars-One ist ein eigentlich nur ein Projekt der Zukunft, alles offen. Niemand weiß in letzter Konsequenz, wer das (wie lange) finanziert und auch nicht, ob die Technik im Jahr 2024 so weit ausgereift sein wird. Versuchen tun sie es trotdem und suchen Leute dafür. 200.000 haben sich gefunden – ein Fünftel einer Million. 1058 stehen nach wie vor auf der Liste. Am Schluss sollen es 20-40 Personen sein, die durch ein Publikumsvoting in einer Reality-Show ausgewählt werden. Vom Standpunkt des Recrutings ist das nun wirklich mutig – der Öffentlichkeit so viel zuzutrauen? Oder gehts eigentlich darum, die Schuld auf die Allgemeinheit abzuwälzen: So nach dem Motto: also wenn ihr euch da oben in die Haare bekommt, sind „wir“ sicher nicht Schuld. Eher noch die Erdlinge. Für diesen Auswahlprozess sollen diese Leute schon vorab in die Isolation geschickt und der Öffentlichkeit preisgegeben werden. Das ist eine gute Idee, find ich. Denn wir brauchen immer mal wieder Menschen, die sich für uns opfern. Das war schon beim Jesus so, bei Kurt Cobain auch. Bald sind es die Mars-Fahrer. Wir schauen ihnen beim Opfern zu und dann fliegen sie für uns noch zum Mars – zum Mars! Wir sitzen wieder am Kamin und trinken diesmal keinen Whisky, sondern einen Henri Jayer Richebourg Grand Cru.

Ich bin tatsächlich erstaunt über die Bereitschaft von 200.000 Menschen, die Erde für immer verlassen zu wollen, um in einem Jogurtbecher am satellitären Ende der lebbaren Welt ein Dasein zu fristen – für immer! Denn ein Zurück gibt es nicht. Die Erde muss für diese Gruppe doch wirklich ein schrecklicher Ort sein! Was läuft hier schief? Sind es tatsächlich die Kriege, der Extremismus, die Umweltverschmutzung? Was bringt Menschen dazu, sich für eine endgültige Reise zum Mars zu entscheiden? Diese Entscheidung ist „total“, sie ist – aus der Sicht von Menschen, die auf der Erde wohnen – wie eine freiwillige Vernichtung der eigenen Existenz, sie ist fatalistisch, schicksalsergeben, absurd, nicht Erdling-gemäß.

Mein Staunen über diese Bereitschaft von Menschen nährt sich sicherlich auch aus der Einsicht, dass das Leben immer wieder ein paar Prinzipien bereit hält, die einfach immer gelten. Auch Lisa Nowak, eine amerikanische Nasa-Astronautin hat sich gemeldet. Sie war eine von 2432 Bewerbern – die Beste – ermittelt in nicht weniger als 123 Endrunden. Sie galt damit als das „Optimum Mensch“, kompetent genug, den Mars zu besiedeln. Dummerweise war sie verliebt in einen Mann, der auch eine andere Frau hatte. Eines Tages spürte Lisa Nowak ihre Konkurrentin auf, riss ihre Autotür auf und sprühte ihr Pfefferspray ins Gesicht. Tja, die Eifersucht! Die schwere Körperverletzung brachte ihr eine Bewährungsstrafe. Gerichts-Mission statt Mars-Mission. Nowak hatte bewiesen, dass das Menschliche des Menschen nicht so einfach in ein Schema gepresst werden kann – auch nicht in einem komplizierten Nasa-Auswahlverfahren mit tausenden von Prüfungen. Manche Menschen sind einfach crazy, wen wundert`s?

Es gibt Zusammenhänge im menschlichen Leben, die nicht zu unterschätzen sind. Man begehrt Dinge ja normalerweise dann am meisten, wenn man sie nicht haben kann. Das heißt: Ist man mal am Mars angekommen und genießt die erste Tasse heißen Kaffee, dann wünscht man sich ja nicht mehr, dass man am Mars lebt. Dann ist dieser Wunsch erfüllt. Dann wünscht man sich sicher bald etwas anderes. Nur was? Ist man erst einmal weg, wird man wahrscheinlich zu seinen „Daheimgeblieben“ eine dringliche Sehnsucht aufbauen. Das Prinzip ist genau dasselbe, wie wenn man sich am Küchentisch nach Moorea oder in die Wellen von La Reuion sehnt. Und dabei ist das nicht einmal ein wirkliches Problem, nur eines des Budgets. Und wenn auch: vieles lässt sich regeln, im Lauf der Zeit. Solange man auf der Erde bleibt, kann man die Dinge händeln. Nach La Reunion kann man segeln, auch zurück, oder nach Vanuatu. Am Mars bleibt man ewig. Egal, ob Psychose, Liebeskummer, Zukunftsängste oder das Bedürfnis, mal in ein Irish-Pub zu gehen, um sich einen umzuhängen – ein Zurückkommen ist passé, rien ne va plus.
Denken Menschen, die für immer zum Mars wollen eigentlich an die wichtigen Dinge des Lebens, bevor sie in die Rakete steigen? Wissen sie um die einfachsten Prinzipien des Daseins? Man müsste sie befragen, wenn man die Zeit dafür hätte.

Vielleicht geht es den Weltraumpilgern ja um Ruhm. Das Heldentum ist ja was, das allen etwas bringt. Bedeutende Männer und Frauen wurden schon durch die Großstädte gekarrt, bewundert, bejubelt, zu Wunderwuzis hochstilisiert. Ja, mit einer Mars-Mission wäre man sicher auch ein Held, ich bin mir sicher. Aber das Bejubeln fände nur per Computer statt, oder in der heim-eigenen Jogurtschale bei „Schlechtwetter“. Schade, das Heldentum kann man sich am Mars nur virtuell vergeistigen. Denn durch die Straßen wird man garantiert nie mehr wieder gefahren, und von Menschenmassen umjubelt schon gar nicht. Was bringt der Ruhm schon, wenn man nicht mehr auf der Erde ist? Freut man sich dann „marsianisch“, so überschäumend, so befriedigend, dass es für alle Zeiten anhält? Oder nimmt man die „Ich-freu-mich-mal-ganz-doll-Tablette“? Ich hoffe es.

Außerdem kann ein Vergleich nicht schaden, behaupte ich. Die Probleme, die bei einer Schiffsreise auftreten können, müssten ja im Vergleich zu einer jahrelangen Fahrt durch den Weltraum wie Peanuts erscheinen. Ein Schiff ist eines der primitivsten Dinge der Welt. Trotzdem liegt auch dort manchmal der Teufel im Detail, in der Konstellation des Zufalls, in der Verquickung von Einzelheiten, die eine Situation kippen lassen. Noch dazu ist man nicht alleine. Das hat Vorteile und Nachteile. Vielleicht wird die Art wie jemand niest zur Katastrophe? Vielleicht ist es die größere Zahl an Liebesbriefen, die der Mars-Reise-Kollege von der Freundin aus New York bekommt? Vielleicht ist es nur die ungleiche Verteilung von Bereichen, die abgestaubt werden müssen. Wer kann im Vorfeld schon alles ausschließen?
Die Webseite von Mars-One spricht von einem „relativ geringen Risiko“ dass etwas passiert. Das beruhigt doch ungemein. Zuerst wären acht Fracht-Missionen an der Reihe, erst wenn diese positiv verlaufen sind, dann würden Menschen in die Kapsel steigen, so die Homepage. Dann werden die ersten vier Menschen zum Mars geschossen, ausgestattet mit Geräten oder portablen Gewächshäusern, mit denen ein „Ziehen von Nutzpflanzen“ möglich sein soll. Außerdem sollen Methoden geschaffen werden, die jenen „da oben“ erlauben sollen, Plastikteile selbst herzustellen, damit sie selbst Wohnraum schaffen können. Das wäre dann der erste außerirdische Baumarkt (Hornmars oder Mars-Bau? Sicher Wall-Mars).
Skrollt man auf der Homepage weiter nach unten findet sich ein Raumschiff – ähnlich wie das Hubble Teleskop, darunter noch ein Astronaut auf Weltraumspaziergang in einem komfortablen Sessel – so wie man sie kennt – die Bilder, die um die Welt gingen, als Weltraumspaziergänge noch so interessant waren, dass sie in den Medien gezeigt wurden. Gleich neben dem Weltraumspaziergänger erscheinen muntere Gesichter, lächelnd, gut aussehend und strahlend. Als ob sie sich für den Job des Universtitätslektors bewerben würden.
Ob den Machern dieses Werbeereignisses selbst klar ist, worauf sich ihre Probanden da einlassen? „The next giant leap for mankind“ steht unterhalb der Jogurtbecher geschrieben – dazu sag ich nun mal nichts mehr. Außerdem steht immer noch die Frage im Raum, was denn der „erste“ Schritt eines Menschen außerhalb der Erde wirklich gebracht hat. Brauchen wir da schon den „Nächsten“? Warum bevölkern wir eigentlich nicht den Mond? Das wäre doch viel kürzer und einfacher. Und Stürme gibts da oben auch nicht. Man kann auch noch nach Hause sehen.
Was wird es bringen, wenn ein paar unserer Abkömmlinge am Mars herumspazieren? Wer wird sich nach einer ersten überschäumenden Begeisterung für das Leben „da oben“, „da unten“, oder „drüben“ noch interessieren? Wir alle wissen, wie schnell die Begeisterung nachlässt, wie schnell wir Menschen uns an Dinge gewöhnen, von denen wir nicht direkt betroffen sind.
Was, wenn die da oben zurück wollen? Haben wir dann die Technik, sie wieder nach Hause zu holen? Wer wird das bezahlen? Die Marsianer selbst? Mit welchem Einkommen? Sagt man ihnen dann: Hey, ihr habt euch selbst da rein geritten, jetzt müsst ihr die Suppe auslöffeln? So wie im Film?
Eine Lebenszeit ist verdammt lange. Das merkt man aber erst, wenn man in einer Situation ist, die man nicht mehr kontrollieren kann. Das kann eine Krankheit sein, ein Sturm auf hoher See, soziale Wünsche oder Bedürnfisse, die nicht eingelöst werden können. Was, wenn sich lebensbedrohliche Probleme am Mars ergeben und wir können den Menschen da oben nicht helfen? Schauen wir ihnen dann per Standleitung zu, wie sie langsam dahinvegetieren? Ich hoffe, dass das Programm dann geändert und auf Studioaufnahmen umgeschaltet wird! Ansonsten wird das wirklich archaisch und erinnert an die Sklaven in der Löwengrube!
Ich behaupte, die, die sich gemeldet haben können nur Naivlinge sein, die von irrationalen Sehnsüchten gequält werden – so gequält, dass sie gleich jede Beziehung zur Erde abbrechen. Lisa Nowak ist dreifache Mutter, auch Tochter, vielleicht auch Tante oder Schwester. Beschränken wir uns mal auf die Erledigung der einfachen Dinge, ehe wir in den Weltraum greifen! Anerkennung, Wertschätzung, Moral, Gerechtigkeit und so. Beginnen wir mit unseren Kindern! Das ist auch ein Abenteuer.

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