Monatsarchiv: April 2015

Giovanni Passanante – Anarchist. Ein Nachruf unter die Erde.

PassananteIhr habt lange nichts von uns gehört. Das heißt aber nicht, dass wir nicht aktiv waren. Wir waren auf Elba. Ja! Auf Elba. Insel Napoleons und der Medici. Kaum zu glauben, dass wir es mit der Fähre so weit geschafft haben! Wind und Wetter waren gegen uns. Dazu noch die Wellenhöhen. Gar nicht passend zum Schaukel-Rhythmus, den Zwergibert derzeit benötigt. Aber seis drum: Mit Bahn und Schiff kommt man bequem nach Portoferrario – um nicht zu sagen perfekt! Wieder einer dieser Orte, an die es uns scheinbar ständig zieht!

Mitten im alten Hafen – eigentlich begrenzt er die Hafeneinfahrt steuerbords – steht der Torre del Martello – der Hammerturm. Von den Medici erbaut, 500 Jahre alt. Heute schaut er eher aus, als ob er im ersten Weltkrieg erbaut worden wäre – mit glatten Wänden, achteckig, wehrhaft, grauenerweckend, rationalistisch, hässlich – und doch macht ihn seine Geschichte zu einem Bauwerk, das man erhalten muss – für die Nachwelt. Damit sie sieht, wozu Menschen fähig sind.

Denn dort hat sich eine Geschichte zugetragen, die auch müde Urlauber in eine Schockstarre versetzt. Wie kann es denn sein, dass dort im Torre del Martello – unterhalb der Meereslinie – ein Mensch – Giovanni Passanante – in einem 1,40 Meter hohen Raum ohne Licht und Fenster zehn Jahre überleben konnte? Zehn Jahre in absoluter Finsternis in einem kalten, nassen Verlies aus Felsen und Nässe, die aus den Steinen sprudelt? Zehn Jahre, das sind 3650 Tage ohne Zuspruch, ohne Sozialität, ohne Menschlichkeit! Es heißt, die ein- und auslaufenden Fischer hätten Passanante schreien gehört. Zehn Jahre lang.

Wenn man sich die Szenerie vom hoch gelegenen Forte Falcone ansieht, läuft es einem kalt über den Rücken. Die menschliche Leidensfähigkeit kennt scheinbar keine Grenzen. Und die menschliche Grausamkeit ebenso wenig.

Gut. Passanante war ein Übeltäter, das muss man sagen. Er hatte im Jahr 1878 versucht, König Umberto mit einem Messer zu töten. Gut, muss man sagen, das gehört sich nun wirklich nicht. Wie krank muss man sein, das versuchen zu wollen? Mit einem Messer auf offener Straße? Vielleicht hat er sich bewusst für den Widerstand geopfert? Wer weiß? Vielleicht wollte er ein Zeichen setzen: dass man sich auch gegen die Monarchie auflehnen KANN – dass es möglich ist – seht her!! Es bringt zwar nichts und bringt mir ein paar Probleme, aber machen KANN man es!! Seht nur her – und nehmt euch ein Beispiel! Ihr lahmen Pfützen !°!

Vielleicht hat Passanante genau das gedacht. Wir werden es nie erfahren. Wir wissen nur, dass er an einer 18 kg schweren Eisenkette hing. Wir wissen nicht – und können uns nicht vorstellen, wie sich das über die Jahre anfühlt. In Dunkelheit und Kälte, blind, ohne Sinne, in einem leeren Universum ein- und ausatmen.

Nach zehn Jahren wurde Passanante in ein Irrenhaus, in das Montelupo Fiorentino der Villa Medici L‘Ambrogiana gebracht. Dort blieb er zwei Jahre lang am Leben, ehe er 1910 Selbstmord beging. Sein Kopf wurde abgetrennt und ins Kriminalmuseum nach Rom gebracht und ausgestellt.

Da steht man nun und beschaut diese wundervolle Insel. Man sieht Wälder, Bergketten, Steilküsten, Strände und Buchten, fein gezeichnete Täler, Pinien, Föhren, Schiffe in allen Größen, Häfen, Kinder mit Eistüten, kleine Inselhopper-Autos, rauchende Schülerinnen und sonnenhungrige Urlauber aus Pisa. Und mitten unter ihr – eine Geschichte, ganz nahe, ganz schauderhaft, ganz real, ganz irre, ganz europäisch.

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