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Capraia im Frühling

Verdammt, waren das Gerüche in den Gassen von Capraia City, jeder einzelne lässt die Gene hochfahren, das Herzerl, die Romantik, versprüht Lebensenergie und Vitalität, mit Blütenoptik, Gras, Baumharzduft…. der Kreislauf, die nervliche Anspannung, die geistigen Horizonte, alles hebt und senkt sich, wogt dahin wie ein Korken im Wasser, bis Capraia drei Tage später achteraus in einer Nebelwand verschwindet und im Nirgendwo geheimnissvoll auf den nächsten Besuch wartet.

Bildergebnis für capraia

Wir standen drei Tage in einer traumhaften Bucht, der einzigen von Capraia im Nordosten, eine hübsche Einfahrt, ausgeschildert backbords mit einem cubistischen Kastello auf einem Steilfelsen und einem weiß getünchten Leuchtturm. Um die Ecke wirds etwas flacher, mit Steinen, Mauern, Beflanzungen kultiviert und mit einem Weg nach oben bis zu einem Torre. Da ist er wieder, dieser vertraute harzhaltige Geruch nach Zitrone irgendwie, aber auch nach Wein, Thymian oder Salbei. Blöderweise drängen beim Einlaufen in die Bucht zwei kürzere Hafenmolen ins Auge, so hoch aufragende Biester aus riesigen Steinen – aber – wer kann es den wenigen Einheimischen verdenken, wenn sechs Monate im Jahr schwere Brecher und Sturm die Beckdecken befeuchteln?

 

Dann gehen wir vor Anker im Bojenfeld, ankern verboten zwar – aber, das kann nur im Sommer gelten – wenn 50 Yachten die Bucht belegen und sicher auch beschallen. Die Bojen waren nicht mal gesetzt. Nur die Betonfundamente sah man im klaren Wasser bis auf zwölf Meter. Fünf Minuten später sitzen wir im Salon, schauen hinaus auf die Berghänge, die allesamt nach Sonne, Wein, Salz und Staub aussehen, dann essen wir die fette Rohwurst der Italiener und einen zu einer Rollade gepressten Speck, geil !! Im Urlaub kann man sich ja alles erlauben, oder? Vor allem, wenn einem die Fleischeslust in die Birne steigt…. Dazu ein gefügiger Espresso und das Schreien der Möwen. Ist das Urlaubsflair? Kanns was anderes sein? Das Leben, ja es ist zurück!! Ja, es ist,…. Yes, we can!!

Überhaupt sind wir um vieles mehr routinierter als noch bei unserer Reise durchs Mittelmeer im Jahr 2013. Nun haben wir keine Angst mehr vor den Geräuschen, die uns vor Anker so durch den Traum wackeln, wenn die Dünung reinläuft und Ilva in eine Pendeluhr ohne Kuckkuck verwandelt. Ohne Wind beginnts eben wild zu schaukeln, was ist das Problem?

Das Leben auf einer Insel erscheint uns sinnlos, weil es in keinem Zusammenhang steht. Und Capraia steht mit dem Nichts in Zusammenhang. Ganz allein, es taucht einfach aus dem Nichts am Horizont auf wie die Osterinsel. Und dann, bist du erst mal da, fahren genau die selben Autos wie am Festland, nur, du weißt, eigentlich können die gar nirgends wohin fahren. Es gibt hier nur 800 Meter Straße!! Das hindert einen Ducatiheizer aber nicht, die Kurve entlang der Bucht mit einem Aufheuler zu nehmen, aber so richtig molto bene!! Das ist ausnahmsweise ein richtig witziger Aufheuler. Weil, so ganz ohne Zusammenhang!! Von oben, von den Bergen aus sieht man bis aufs Festland, bis nach Piombino, Elba Richtung Südosten ist genauso präsent wie Korsika im Westen, mit tief verschneiten Bergen. Fassungslos stehen wir am höchsten Punkt von Capraia in einer Kirche aus Stahlträgern, die der Wind und das Salz verrotten ließ. Teile aus Blech liegen weiter unten in der Böschung. Auf einer Broschüre steht, dass es eine Forschungsstation war. Mit solchen Fenstern?

Unser Beiboot zieht erstaunlich viel Wasser. Unklar bleibt, wo es denn eigentlich reinkommt. Mamabert und ich fuhren mit leichter Motorkraft eine Runde in der Bucht, ehe wir in den Hafen liefen, ich am Motor, sie ganz vorne, mit einem Becher in der Hand, schöpfend. Oben auf der Bergstraße (bei schätzungsweise Straßenkilometer 0,4) standen ein paar Wanderer, die lachten, ja, unser fahrendes Regal, aus dem noch Wasser geschöpft wird, sieht sicher zum Zerkugeln aus.

Dann gingen wir in den Ort, gleich links rauf bis zum Torre, und dann verzweigen sich die Wege, einer vorbei an der Polizeistation, mit Innenhof für mindestens zehn Einsatzwagen, und Wohnhäusern mit Balkon mit oder ohne schön gestalteten Stiegenaufgängen.

Bereits am zweiten Abend hat der Kapitän einen Plan für den nächsten Tag erdacht. Zum Leidwesen von Mamabert war es sein fester Wille, einen Gipfelsturm zu wagen. So gings am Tag drei für zwei Stunden bergauf, meist auf einem gemauerten Weg aus umliegenden Steinen, schön gemacht, von — sagen wir mal, Sklavenhand?? Ein Weg, auf dem Spartakus in Richtung Rom oder sonstwo getrieben wurde, erinnerte uns unzählige Male an einen klassichen Via Roma, wir glauben, dass der Name des Wegs jedenfalls so lauten musste. Davor gingen wir noch in die Uffici des Hafens, nach einem Wetterbericht fragen: Che tiempo fa, äh domani?? War die Frage, wir bekamen einen Wetterbericht ausgedruckt, gleich fragten wir noch nach der Tankstelle, gleich neben dem Büro. Ja, bis zum Sommer gibt es nur Self-Service. Ok, gracie. Perfekt. Aber dann schauten wir uns die Tanke an und stellten fest, dass die Hafenmauer unterhalb der Wasserlinie nach draußen sprang. Da bohrten sich also Steine in Ilvas Seitenwand, außer man hat Fender der Marke „Supersize“. Wollten wir Ilva damit bestrafen? Niemals!!!

Bildergebnis für capraia

Nach geglücktem Besuch des Berggipfels auf ca. 400 Meter Seehöhe, einer verrosteten Kirche und so manch anderen Bauwerken mit niederer Festigkeit – außer einer drei Meter dicken Steinmauer, die vorm Nichts abzuwehren schien, kamen wir glücklich und zufrieden auf ILVA zurück. Beiboot abbauen, kochen, Kram verstauen, den Autopilot vorbereiten. Schon bald setzte ablandiger Wind ein – vor Anker ein Geschenk Gottes, dann noch ein Achterl rot, dann ab in die Koje, der Wind kam immer mehr in die Gänge, böig, schon fast 5 bft, dann 6, die Kette riss, neben uns eine Boje mit Blinklicht, die touchierten wir mittlwerweile, weil unser Schwojradius größer und größer wurde. So auch der Wind, schon sicher 7 bft. Wir wussten nicht, ob der Anker gerutscht war, dazu das Wissen und diese komische Dinger unter Wasser mit der losen Vorahnung, dass ich da am nächsten Morgen wohl oder übel tauchen musste – bei 15 Grad Wassertemperatur – und natürlich: Legerwall – hinter uns die Felsen! Ankerversatz einschalten, in die Koje und versuchen, dran zu denken, dass unser Anker noch nie nachgelassen hatte. Schließlich brach der Morgen an und alles war beim Alten. Schon vor dem Frühstück verließen wir die Bucht mit Autopilot, Kurs 60, Cecina im Fokus. Das Wetter war diesig, so hatten wir das Mittelmeer noch nie gesehen. Capraia verschwand schon nach 30 Minuten hinter uns in feuchten Wolken.

Das Schönste am kleinen Urlaub im Nichts war die Gelassenheit, mit der wir herangingen, das erweiterte Genussempfinden, die Freude ohne Stress. Wir hatten allen Spaß der Welt, allen Genuss der Welt, spürten das Dolce Vita, wussten wieder: Es ist möglich, das Dolce Vita versteckt sich gar nicht so aufregend kreativ, wie es manchmal tut, es lässt sich finden, man braucht nur ein Boot und eine Insel. Das reicht.

 

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Nochmals zurück zum Golf von Lyon, aber anders

18. Juli 2014. Es ist 1:13 Uhr, stockdunkle Nacht. Kurs 65. Es geht Richtung Coté ´d Azur quer zum Golf von Lyon. Wir hatten die Überfahrt gewagt, queren gleich den ganzen Golf. Das Wetter war gut angesagt gewesen, mindestens drei Tage sollten angenehmste Segelbedingungen herrschen. Nun aber ist Wind aus Nordwest aufgekommen, nicht viel aber immerhin mehr als in der Vorhersage. Wir sitzen zu zweit im Cockpit, trinken Grüntee und essen Kekse von vorgestern. Die Dinger sind irgendwie feucht. Aber was solls. Chips hängen jedem schon zum Hals raus. Etwas Süßes zu früher Stunde? Ja bitte gerne.

Jedenfalls gefällt uns der aufkommende Wind gar nicht. Wir checken nochmals die Grip-Files und schauen, ob wir vielleicht etwas übersehen haben, irgendwelche kleinen Huster von unserem so gefürchteten Windchen mit dem wohlklingendem Namen „Mistral“. Nein. Max vermeldet, es dürfte nicht mal ein Hauch von einem Windchen zu spüren sein. Nicht in der Nacht. Na gut, dann wird sich das gleich legen. Vermutlich nur ein kleines Druckspielchen zwischen den Luftdrückchen dieser Gegend. Plötzlich füllt sich das Segel. Wir werden eine Spur nach Steuerbord versetzt. Verdammt, was ist das? Die Windvane gleicht den Kurs gleich wieder aus. Wir fahren jetzt 2 Knoten schneller. Ilva legt sich auf die Seite und beginnt, leicht in den anrauschenden Wellen zu stampfen. Max fällt der Keks aus der Hand. Er ist zum ersten Mal mit einem Segelboot unterwegs. Ist eigentlich mehr ein Freund von rollenden Maschinen (genannt Autos), die auf der Straße so gar nicht von den Elementen abhängig sind. Segeln in der Nacht ohne was zu sehen ist so gar nicht sein Ding.
Plötzlich vermeldet das AIS einen Alarm. Nun gut, ein Tanker kreuzt unseren Kurs. Die kommen von Marseille und fahren Richtung Barcelona oder sonst wo hin. Ich hechte zur Windvane und versetze unseren Kurs etwas mehr Richtung 70. Das wird sich ausgehen, der Wind wird sich ja auch gleich wieder legen, versichere ich Max. Die Grip-Files zur Wettervorhersage haben bis jetzt immer gestimmt.
Plötzlich trifft uns die nächste Böe. Es ist keine Böe, es ist Wind, stetig, kräftig. Er ist kühl und trocken, so wie der Mistral. „Habe ich gerade Mistral gesagt?“ Verdammt, nochmal mehr? Sollen wir gleich reffen oder hört das Spiel gleich hinter den nächsten 25 Wellen wieder auf? „Wir gehen kein Risiko ein“, rufe ich zu Max. Wir reffen die Segel. Groß ins 2. Reff, auch die Genua rollen wir leicht ein. Mit dem 1-Leinen Reff-System ist das keine Schwierigkeit. Wir schießen in den Wind, verkleinern die Segel, fallen wieder ab.
Hier ist etwas im Gange. Ilva stampft wie wild auf den Wellen, die mittlerweile – Respekt und Dunkelheit abgerechnet – schon sicher 2 Meter hoch sind. Ich tue so, als sei das alles normal und gebe mich abgebrüht. „Das ist nur ein kleiner Druckunterschied hier mitten im Golf. Das müsste sich normalerweise gleich legen“, sage ich, ohne nun aber bald selbst nicht mehr dran zu glauben. Max schaut mich finster an. Vielleicht denkt er, ich verarsche ihn? Mittlerweile ist Herbert, das dritte Crewmitglied erwacht. Er hängt zwischen den Handläufen im Salon und fragt, ob er nun ein paar Stunden oder ein paar Tage geschlafen haben. „Ist alles ok“, vermelde ich. Das kleine Windchen dürfte eine kleiner Ausrutscher des Wettergottes gewesen sein. Der Wetterbericht verspricht eigentlich Totalflaute zwischen 22 und 6 Uhr früh. „Das wird sich gleich legen“, sage ich. „Aber wenn wir schon dabei sind, legen wir doch gleich die Rettungswesten an“, ergänze ich, „wer weiß, was noch kommt“. Und es kommt. Der Wind nimmt stetig zu, nun schon mindestens Windstärke 4. Die Wellen rauschen vom Norden heran und schieben sich unter unseren Hintern durch. Nun sind schon Schaumkronen zu sehen. Die Wellen überschlagen sich langsam immer öfter. Sie zischen laut.
Max wird langsam aber sicher unwohl. So habe er sich das nicht vorgestellt. Ja, ich weiß. Ist alles kein Problem. „Das Wasser kann Ilva nichts anhaben“, versichere ich ihm, weder bei Tag noch bei Nacht, weder bei Sturm, noch bei Flaute. Niemals! Nun gut, wir knallen nun auf Halbwindkurs fast schon mit 7 Knoten in Richtung Isle de Hyeres, Porquerolle oder die Nachbarinsel. „Bei dem Wind sind wir jedenfalls schneller da als erwartet“, sage ich. Ein bisschen Spaß, ein bisschen Optimismus bei allen Wetter-Unstimmigkeiten tut immer gut. Langsam aber sicher ist bei jeder Welle eine weiße Schaumkrone zu sehen. Der Mistral (der immer noch keiner ist, zumindest in meinem Kopf – denn das möchte ich jetzt nicht wahrhaben, um 2 in der Früh) bläst stetig und kräftig. Er nimmt auch in Böen nicht ab. Na das wird ja eine lange Nacht. Ich hole noch mehr Grüntee. Herbert gesellt sich auch ins Cockpit. Im Seglergewand und Stirnlampe versuchte er, sein Buch fertig zu lesen. Die erotischen Schriften von Georges Bataille. Na gut, da wird ihm sicherlich warm ums Herz, denke ich.
Ein lauter Knall. Verdammt, was war das? Ein Ruck geht durch Ilva mit samt ihren an Bord befindlichen Menschen, gefolgt von einem lauten Kratzen unter uns. Ein paar Sekunden lang dauert das. Eine gefühlte Ewigkeit. Eiskalt läuft es mir den Rücken runter. Wir hechten zur Reling, neigen unsere Köpfe Richtung Wasser, versuchen irgendwas im schwarzen Nichts zu erkennen. Was geht da vor sich? „Nichts zu sehen“, vermelden wir uns gegenseitig. Wir blicken uns an, so wie wir uns noch nie zuvor angeblickt hatten.
Eine weitere Böe trifft uns. Noch mehr Schräglage. Dazu kommen jetzt die Wellen wie kleine Panzer aus Richtung Nord und ergänzen sich mit dem Wind zu einer Front, die nur noch gegen uns zu kämpfen scheint. Wir können doch gar nichts dafür, denke ich. Wir sind doch nur unschuldige Bergmenschen mit dem Hang zur Extravaganz, nur ein bisschen Spaß, mehr ist es doch gar nicht. Auch Herbert holt sich seine Seglerjacke. Er verschwindet im Niedergang. „Hat jemand von euch ein Fenster offen gelassen?“, fragt er. Wir verneinen und fragen warum. „Da schwappt Wasser im Boot.“ Was? Wie? Wasser im Boot? Ich gehe nach unten. Tatsächlich. Ein kleines Rinnsal veteilt sich, je nach Lage im Salon. Es schwappt je nach Lage herum. Eine leere Kekspackung schwimmt oben auf. Es ist nicht zu sehen, woher das Wasser kommt. Wie lange brauchen wir noch bis Marseille? Ich krame die Karten hervor, trage unsere jetzige Position ein und messe. Immer noch 35 Seemeilen. Das sind mindestens 6 Stunden. Bis dahin wird es jedenfalls schon hell sein. Ich spüre, wie das Wasser langsam aber sicher höher steigt. Nun geht es mir schon bis zu den Knöcheln. Ich reiße ein Schapp nach dem anderen auf, hole mir den Taschenlampe und schaue, wo dieses verdammte Wasser herkommt. Es ist jedenfalls Salzwasser; also kommt es von draußen. Die Sache mit dem einlaufenden Wasser hatten wir schon mal vor mehr als einem Jahr. Damals war es aber nur das Wasser vom bootseigenen Tank. Nun garantiert nicht. Es ist salzig und bitter im Abgang. Ich kann nichts entdecken, kein Loch, keinen Riss. Aber alle Verkleidungen kann ich auf die Schnelle nicht entfernen. Und schon gar nicht bei dem Geschaukel.
Hatten wir tatsächlich etwas gerammt? Ungläubig und nicht mehr ganz so guter Dinge schaue ich nochmal auf die Seekarte. Welcher Weg ist der Kürzeste zur Küste? Nach Norden sind es nur etwas über 20 Seemeilen. Das wäre aber fast gegen den Wind. Das bedeutet stampfen und ein böses Auf und Ab über Stunden. Wir besprechen kurz die Lage. Ich gebe mich immer noch ruhig, sofern das noch glaubwürdig rüberkommt. Wir beschließen, nach Norden zu gehen, an die Küste, in den Hafen oder in der Nähe von Land, jeder hier an Bord möchte Land sehen, Land spüren, Handstände, Purzelbäume oder was weiß ich machen. Es geht jetzt nicht mehr um Urlaub, es geht ums Überleben. Nur irgendwie ans Land kommen.
„Wir brauchen keine Angst haben. Die Pumpen sind stark genug, um das bisschen Wasser abzupumpen. Das ist kein Problem“, höre ich mich sagen. Der Wind hat es sich nicht anders überlegt. Er ist gekommen um zu bleiben. Er hat nochmals zugegelegt. Windstärke 6, nach meiner Schätzung, ein klassischer Mistral aus Nordwest, der üblicherweise noch zunimmt auf 8 Beaufort.
Wir rollen die Genua ein, entkoppeln die Windvane und schießen in den Wind. Ilva stampft in den anrollenden Brechern. Manche von ihnen schlagen schon aufs Deck. Ich gehe zum Steuerstand, starte die Maschine. Sie kommt nicht. Nochmals. Vorglühen, ganz langsam bis sieben zählen, dann den Schlüssel rum. Der Starter kullert, aber die Maschine kommt nicht. Ich habe schon lange beschlossen, nicht mehr zu fluchen. Genau jetzt wäre das Gift für unsere Sandmühlen. Ich versuche es nochmal. Ich denke an einen Schwarzen Verlängerten mit Cremeschnitte bei der Aida im 9. Bezirk. Sonnenschein, verspiegelte Wände, die Kellnerinnen in ihrem Rosa-Dress. Das beruhigte mich immer. Ich denke an die Vitrine mit den Köstlichkeiten, Kardinal-Schnitte, Majonaise-Ei. Sieben. Nochmals starten. Der Starter arbeitet. Nichts passiert. Ilva stampft. Wir sitzen im Cockpit wie auf einem wild gewordenen Stier und schauen uns an. „Nun Leute wird es langsam ernst. Wir reißen uns jetzt zusammen und bringen das Boot zur Küste. Wenn nicht mit der Maschine, dann unter Segel. Wer will noch Tee?“ Niemand wollte Tee.
Auf einmal höre ich eine Ente quaken. Quak, Quak, Quak, Stilles brummen. Ich öffne die Augen. Ich reiße die Tür ins Cockpit auf. Max und Herbert liegen auf den Cockpit-Bänken. Beide heben die Köpfe. Ich sehe nichts als Zähne. Nichts von Wind, Unruhe, Nervösität oder gar Wellen zu sehen, hören oder spüren. Ich habe geträumt, jetzt ist es fix. Niemand bewegt sich schneller als üblicherweise auf einer Segelyacht. Worte werden gewechselt, der Himmel bestaunt. Eine schöne Szenerie. Die Maschine brummelt ruhig vor sich hin, der Autopilot bemüht sich. Fast kann ich es nicht glauben. Ich beruhige mich. Meine Schicht beginnt. „Wir kommen bald in die Nähe von Marseille“, vermeldet Max. „Ach ja, danke, ich komme gleich. Nur noch 5 Minuten.“ Ich knalle meinen Kopf in den Polster, schalte das Gequake des Handys ab. Ich muss mich noch kurz erholen von diesem Traum.

 

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Die Tiger von Calpe

Nach einigen Segeltagen mit guten Etmalen legen wir in Calpe an. Der starke Wind schiebt uns rollig vor sich her, die Windfahne müht sich ab, gegen die hohen Wellen von hinten Kurs zu halten. Nach Alicante ists vorbei mit der herrlichen andalusischen Sonne, der Trockenheit, der Klarheit des Himmels, den angenehmen Abenden. Schon bald steht fest: hier kommen wir nach Europa! (eigentlich haben uns die Leute hier erzählt, es sei verdammt kalt jetzt – also das mit dem Klima wird bald wieder besser). Wir frieren nämlich beim Segeln. Und obwohl wir wissen, dass so manche/r unserer LeserInnen jetzt ein wenig schadenfroh lächeln wird – ok, wir wissen, dass Mitteleuropa grad im Eis ertrinkt, dagegen brauchen wir hier nur eine Seglerhose anzuziehen! Während der Nächte in den Häfen straucheln 2 elektrische Radiatoren und halten unsere Gehirne eisfrei.

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Nun liegen wir ziemlich unruhig im Hafen von Calp oder Calpe, je nachdem welche Schreibweise man wählt. Und obwohl wir „nur“ im Mittelmeer geblieben sind und dort auch wiederum „nur“ an der Küste entlang segeln, gibts dennoch viel zu berichten.
Nach einem zweifachen Rittberger bei Starkwind beim Anlegen in der Marina, müssen alle ganz dringend Pipi, denn kurz zuvor ist die Pumpe unseres Schiffklos kaputt gegangen. Dies erforderte gewitzte wie auch risikoreiche gegenderte Lösungen, damit die SeglerInnenblasen nicht platzen. Und was dann noch geschah: nachdem wir uns zum Essen in den dank Landstrom endlich warm werdenden Schiffsbauch zurückgezogen hatten, sahen wir achtern nur mehr eine riesige weiße Genua, ganz nahe bei unserem Heck. Papabert springt hoch. Gerade eben noch beim Laptop gesessen setzte er an zu einem rekordverdächtigen Decksweitsprung, um die eifrigen Jollensegler, die allesamt ziemlich erfahren oder zumindest erfahrener aussahen als wir, anzuschreien. Ohne Skrupel ob ihrer tollen Seglerkleidung, ihren hohen Ehrfurcht-einflößenden Haaransätzen und ihrer großen Anzahl. Mamabert und Kindbert hinter ihm her – weniger aufgebracht, weniger hübsch – Mamabert in ihren Hüttensocken mit Herz und Jogginghose, Kindbert in alter Jogginghose und unfrisiert, aber nicht minder ambitioniert, die Situation zu retten als irgendeiner der Großen. Was war da abgegangen? Als die britischen Wassersportler ihre Jolle mit einer Wende im engen Hafenbecken ins offene Meer rausmanövrieren wollten, krachten sie voller Freude gegen unser schönes Heck und rammten mit dem Großbaum fast noch den Außenborder von unserer Reling.

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Vollen frohen Muts waren sie ohne Motor und auch ohne Leinen oder Fender nur bis zur nächsten Ecke gekommen, wo unser Boot im Weg stand weil der Wind die Segel mächtig füllte.  „Where are your fenders? Where are your lines?“, brüllte Papabert. „Sorry, sorry, we are so sorry, so dumb“, gab die Crew kleinlaut von sich. „What means sorry?“, konterte Papabert. Bei Sturm mit der Genua  und dem Groß gegen den Wind zu gehen ist vielleicht doch nicht so eine gute Idee, ob nun ordentlich angezogen oder nicht. Ziemlich gedämpft fuhr die Crew samt Segelguru wieder an ihren Platz zurück – ja, so schnell kann ein Männertag sein Ende finden. Ok, gut – Schwammdrüber-Blues, unser Tag will auch gerettet werden, das Hin- und Hergeruckel raubt Papabert den Nerv. So wendet er sich konstruktiven Dingen zu und erfährt bei seinen Recherchen, dass das Plastikteil für das Klo läppische 100 Euro (!!) kostet, ein Klacks, oder?  Wir können es nach Valencia in einem Geschäft abholen und müssen dafür noch nicht mal einen Umweg fahren. Der Kratzer an der Bordwand wird durch zwei Bier von John, dem altgedienten Jollensegler wett gemacht. Was hilft gegen Stress im Hafen: Weg da!!! Sollen doch alle anfahren wenn wir nicht dabei Herzstechen kriegen. Abhlife schafft eine Wanderung.

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Kindbert freut sich ohnehin schon auf eine kleine Tour und uns allen tut ein Spaziergang durch die Natur gut. Na das trifft sich ja bestens, dass Calpe direkt an einem ca. 400 Meter hohen Felsen, dem „Peñon de Ifach“ liegt, der ähnlich wie „the Rock“ bei Gibraltar aussieht, mindestens genau so steil ist und von mindestens ebenso vielen Tieren in einem Naturpark wohlversorgt bevölkert wird. Allerdings sinds hier keine Affen, sondern Möwen und Katzen.

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Am höchsten Punkt des Felsens tummeln sich die kleinen Tiger, um Möwenküken oder wenigstens ihre Eier zu stehlen. Sie scheinen sich wohl zu fühlen bei Wind und Wetter, 400 Meter über dem Meer. Das Fotografieren sind sie wohl gewöhnt, streicheln ließ sich jedoch nur eine. Der Weg auf den Felsen ist durch ein kleines aber wichtiges Schild markiert: Caution! Extreme dangerous track! Don`t walk with Children! Das Flip-Flop-Zeichen war dazu auch noch durchgestrichen. Ok, wir würden das verstanden haben, wenn wir es gelesen hätten, haben wir aber nicht. Zum Glück sind so viele Engländer da. Aber es war ohnehin egal, schon der Anblick nach oben muss einem Menschen (wenigstens einem aus den Alpen) sagen, das wird lustig! Rauf gehts einer „maurischen Mauer“ entlang (hatten die auch schon Kletterseile?)

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Ein Durchgang durch den Fels verkürzt den mittleren Aufstieg, gleicht aber einer Rutschbahn-Tube und kann nur mittels der Halteseile am Rand bewerkstelligt werden – der 100 Meter lange Tunnel wurde irgendwann mal durch den Fels gehauen und erinnert Kindbert und Mamabert gleich an Herr der Ringe. Dann gehts über glatte und eingerissene Steine auf einem schmalen Steig an den hohen Klippen entlang nach oben, zum Anlehnen, mit Steigseilen ausgerüstet. Komisch, von unten sah der Felsen doch so klein aus? Kindert und Papabert gehen alleine weiter, der Weg sehr schwierig –  glatt –  steil – weit. Mamabert geht lieber zum Supermarkt  – es gab ja letztlich gute Gründe, warum sie den Alpen den Rücken kehren wollte und lässt die beiden Entdecker alleine aufsteigen, so nach dem Motto Ehefrau und Ehemann. Oben dann ein Ausblick, der einem die kleine Welt auf so einer Yacht vergessen lässt. Wie dicht der Landstrich doch besiedelt ist! Das meiste wird nur im Sommer bewohnt – rund 200.000 Menschen wollen dann gemeinsam hier braun und entspannt werden. Ob das möglich ist? Ein Panorama auf die Gelsenlacke (früher mal eine Saline) hinter hohen Hoteltürmen, dahinter irgendwo Ibiza im Osten, die imposanten „Zähne“ von Benidorm im Westen– die Stadt mit den meisten Wolkenkratzern pro Mensch – hässlich und unbelebt sieht das aus. Voller Eindrücke und wieder  innerlich eingenordet wird das Zusammensein am Boot erneut genossen. So ein Hafentag hats einfach in sich!

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