Verdammt, waren das Gerüche in den Gassen von Capraia City, jeder einzelne lässt die Gene hochfahren, das Herzerl, die Romantik, versprüht Lebensenergie und Vitalität, mit Blütenoptik, Gras, Baumharzduft…. der Kreislauf, die nervliche Anspannung, die geistigen Horizonte, alles hebt und senkt sich, wogt dahin wie ein Korken im Wasser, bis Capraia drei Tage später achteraus in einer Nebelwand verschwindet und im Nirgendwo geheimnissvoll auf den nächsten Besuch wartet.

Wir standen drei Tage in einer traumhaften Bucht, der einzigen von Capraia im Nordosten, eine hübsche Einfahrt, ausgeschildert backbords mit einem cubistischen Kastello auf einem Steilfelsen und einem weiß getünchten Leuchtturm. Um die Ecke wirds etwas flacher, mit Steinen, Mauern, Beflanzungen kultiviert und mit einem Weg nach oben bis zu einem Torre. Da ist er wieder, dieser vertraute harzhaltige Geruch nach Zitrone irgendwie, aber auch nach Wein, Thymian oder Salbei. Blöderweise drängen beim Einlaufen in die Bucht zwei kürzere Hafenmolen ins Auge, so hoch aufragende Biester aus riesigen Steinen – aber – wer kann es den wenigen Einheimischen verdenken, wenn sechs Monate im Jahr schwere Brecher und Sturm die Beckdecken befeuchteln?
Dann gehen wir vor Anker im Bojenfeld, ankern verboten zwar – aber, das kann nur im Sommer gelten – wenn 50 Yachten die Bucht belegen und sicher auch beschallen. Die Bojen waren nicht mal gesetzt. Nur die Betonfundamente sah man im klaren Wasser bis auf zwölf Meter. Fünf Minuten später sitzen wir im Salon, schauen hinaus auf die Berghänge, die allesamt nach Sonne, Wein, Salz und Staub aussehen, dann essen wir die fette Rohwurst der Italiener und einen zu einer Rollade gepressten Speck, geil !! Im Urlaub kann man sich ja alles erlauben, oder? Vor allem, wenn einem die Fleischeslust in die Birne steigt…. Dazu ein gefügiger Espresso und das Schreien der Möwen. Ist das Urlaubsflair? Kanns was anderes sein? Das Leben, ja es ist zurück!! Ja, es ist,…. Yes, we can!!
Überhaupt sind wir um vieles mehr routinierter als noch bei unserer Reise durchs Mittelmeer im Jahr 2013. Nun haben wir keine Angst mehr vor den Geräuschen, die uns vor Anker so durch den Traum wackeln, wenn die Dünung reinläuft und Ilva in eine Pendeluhr ohne Kuckkuck verwandelt. Ohne Wind beginnts eben wild zu schaukeln, was ist das Problem?

Das Leben auf einer Insel erscheint uns sinnlos, weil es in keinem Zusammenhang steht. Und Capraia steht mit dem Nichts in Zusammenhang. Ganz allein, es taucht einfach aus dem Nichts am Horizont auf wie die Osterinsel. Und dann, bist du erst mal da, fahren genau die selben Autos wie am Festland, nur, du weißt, eigentlich können die gar nirgends wohin fahren. Es gibt hier nur 800 Meter Straße!! Das hindert einen Ducatiheizer aber nicht, die Kurve entlang der Bucht mit einem Aufheuler zu nehmen, aber so richtig molto bene!! Das ist ausnahmsweise ein richtig witziger Aufheuler. Weil, so ganz ohne Zusammenhang!! Von oben, von den Bergen aus sieht man bis aufs Festland, bis nach Piombino, Elba Richtung Südosten ist genauso präsent wie Korsika im Westen, mit tief verschneiten Bergen. Fassungslos stehen wir am höchsten Punkt von Capraia in einer Kirche aus Stahlträgern, die der Wind und das Salz verrotten ließ. Teile aus Blech liegen weiter unten in der Böschung. Auf einer Broschüre steht, dass es eine Forschungsstation war. Mit solchen Fenstern?

Unser Beiboot zieht erstaunlich viel Wasser. Unklar bleibt, wo es denn eigentlich reinkommt. Mamabert und ich fuhren mit leichter Motorkraft eine Runde in der Bucht, ehe wir in den Hafen liefen, ich am Motor, sie ganz vorne, mit einem Becher in der Hand, schöpfend. Oben auf der Bergstraße (bei schätzungsweise Straßenkilometer 0,4) standen ein paar Wanderer, die lachten, ja, unser fahrendes Regal, aus dem noch Wasser geschöpft wird, sieht sicher zum Zerkugeln aus.
Dann gingen wir in den Ort, gleich links rauf bis zum Torre, und dann verzweigen sich die Wege, einer vorbei an der Polizeistation, mit Innenhof für mindestens zehn Einsatzwagen, und Wohnhäusern mit Balkon mit oder ohne schön gestalteten Stiegenaufgängen.

Bereits am zweiten Abend hat der Kapitän einen Plan für den nächsten Tag erdacht. Zum Leidwesen von Mamabert war es sein fester Wille, einen Gipfelsturm zu wagen. So gings am Tag drei für zwei Stunden bergauf, meist auf einem gemauerten Weg aus umliegenden Steinen, schön gemacht, von — sagen wir mal, Sklavenhand?? Ein Weg, auf dem Spartakus in Richtung Rom oder sonstwo getrieben wurde, erinnerte uns unzählige Male an einen klassichen Via Roma, wir glauben, dass der Name des Wegs jedenfalls so lauten musste. Davor gingen wir noch in die Uffici des Hafens, nach einem Wetterbericht fragen: Che tiempo fa, äh domani?? War die Frage, wir bekamen einen Wetterbericht ausgedruckt, gleich fragten wir noch nach der Tankstelle, gleich neben dem Büro. Ja, bis zum Sommer gibt es nur Self-Service. Ok, gracie. Perfekt. Aber dann schauten wir uns die Tanke an und stellten fest, dass die Hafenmauer unterhalb der Wasserlinie nach draußen sprang. Da bohrten sich also Steine in Ilvas Seitenwand, außer man hat Fender der Marke „Supersize“. Wollten wir Ilva damit bestrafen? Niemals!!!

Nach geglücktem Besuch des Berggipfels auf ca. 400 Meter Seehöhe, einer verrosteten Kirche und so manch anderen Bauwerken mit niederer Festigkeit – außer einer drei Meter dicken Steinmauer, die vorm Nichts abzuwehren schien, kamen wir glücklich und zufrieden auf ILVA zurück. Beiboot abbauen, kochen, Kram verstauen, den Autopilot vorbereiten. Schon bald setzte ablandiger Wind ein – vor Anker ein Geschenk Gottes, dann noch ein Achterl rot, dann ab in die Koje, der Wind kam immer mehr in die Gänge, böig, schon fast 5 bft, dann 6, die Kette riss, neben uns eine Boje mit Blinklicht, die touchierten wir mittlwerweile, weil unser Schwojradius größer und größer wurde. So auch der Wind, schon sicher 7 bft. Wir wussten nicht, ob der Anker gerutscht war, dazu das Wissen und diese komische Dinger unter Wasser mit der losen Vorahnung, dass ich da am nächsten Morgen wohl oder übel tauchen musste – bei 15 Grad Wassertemperatur – und natürlich: Legerwall – hinter uns die Felsen! Ankerversatz einschalten, in die Koje und versuchen, dran zu denken, dass unser Anker noch nie nachgelassen hatte. Schließlich brach der Morgen an und alles war beim Alten. Schon vor dem Frühstück verließen wir die Bucht mit Autopilot, Kurs 60, Cecina im Fokus. Das Wetter war diesig, so hatten wir das Mittelmeer noch nie gesehen. Capraia verschwand schon nach 30 Minuten hinter uns in feuchten Wolken.
Das Schönste am kleinen Urlaub im Nichts war die Gelassenheit, mit der wir herangingen, das erweiterte Genussempfinden, die Freude ohne Stress. Wir hatten allen Spaß der Welt, allen Genuss der Welt, spürten das Dolce Vita, wussten wieder: Es ist möglich, das Dolce Vita versteckt sich gar nicht so aufregend kreativ, wie es manchmal tut, es lässt sich finden, man braucht nur ein Boot und eine Insel. Das reicht.